17 Jahre im Einsatz zum Schutz der Bevölkerung – (m)ein Rückblick

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„Entlassungsrapport vom Mittwoch, 30 November 2016“ steht in grossen Lettern in der Überschrift des Briefes, welchen ich vor 4 Tagen von der Zivilschutzstelle meiner Kompanie erhalten habe. Wegen einer Terminkollision kann ich leider nicht persönlich an der „Entlassung“ teilnehmen. Mit dem heutigen Tag geht damit eine Ära zu Ende, 17 Jahre im Einsatz zum Schutz der Bevölkerung. Zeit für einen Rückblick.

*** Warnung – der nachfolgende Beitrag ist sehr subjektiv gefärbt und könnte Deine bisherigen Empfindungen und Gefühle dem Zivilschutz gegenüber beeinträchtigen. Bitte lies nur weiter, wenn Du Dich der Verarbeitung der nachfolgenden Anekdoten gewachsen fühlst.***

Wer meine Geschichte kennt und weiss, dass ich Hierarchien, Autoritäten und Status oftmals in Frage stelle, wird bereits an dieser Stelle erahnen können, dass diese Zeiten für mich nicht immer nur spassig waren …

 

Von der Aushebung bis zur Rekrutenschule – die militärischen Anfänge

Bei der Aushebung im zarten Alter von 18 Jahren und einem Kampfgewicht von 69 Kilogramm wurde ich am Tag der Aushebung als „Tauglich, mit Einschränkungen“ eingestuft und war somit ab diesem Tag als Nachrichtensoldat ein Angehöriger der Schweizer Armee. Die Einschränkungen, eine erhebliche Marschreduktion, eine leichte Tragreduktion und eine leichte Hebereduktion liessen auf eine „gemütliche“ Rekrutenschule hoffen, aber es kam alles anders.

Mit dem Abschluss meiner kaufmännischen Lehre war auch die Zeit der Rekrutenschule gekommen. An diesem Montag im Juli 1997 zogen Karawanen junger Männer gen Fribourg. Treffpunkt Kaserne 10:00 Uhr. Am Bahnhof Fribourg angekommen, hiess es umsteigen auf den Linienbus. Problem dabei, 300 Personen wollen in einen Bus mit einer Kapazität für 100 Personen. Das wird knapp. Es war klar, dass es mindestens 3 Busse braucht, damit wir alle die Fahrt zur Kaserne antreten konnten. Wir haben uns freiwillig für Bus 3 entschieden, der beim Taktfahrplan mit Abständen von 20 Minuten dafür sorgte, dass wir uns einen ausgedehnten Kaffee genehmigten konnten. So weit so gut, aber wir und viele andere waren dadurch 5 Minuten zu spät am Einrückungsort. Anschiss 1. Herzlich willkommen in der Rekrutenschule.

Danach ging es direkt mit rund 100 Leidensgenossen zum Anstehen beim Arzt. Knapp 5 Stunden, auf einer Steintreppe sitzend, später – einzig von einem Mittagessen unterbrochen – war es soweit – eine Audienz beim Doktor. 3 Minuten später bin ich aufgrund meiner Knieoperationen für nicht einsatzfähig befunden worden. Und jetzt? Rekrut, warten sie in diesem Zimmer auf den nächsten Schritt. 30 Minuten alleine in einem Raum – in einer Zeit als es noch keine Smartphones gab! Stille. Warten. Irgendwann gehe ich raus und frage nach, worauf ich denn hier warte? Die Antwort ist so klar wie einleuchtend: Auf Deinen Sold für den heutigen Tag von 5 Franken, aber eine Audienz beim Kassier gibt es immer erst dann, wenn wieder 5 Heimzuschickende zusammen sind. Aha! Meinen Hinweis, ob sie die 5 Franken nicht behalten wollen und ich würde nach Hause gehen, führte unweigerlich zum Anschiss Nummer 2. Nochmals 2 Stunden Wartezeit später und mit 5 Franken mehr im Sack, war mein Abenteuer Rekrutenschule abgeschlossen. Ein Jahr später kam auch die Untersuchungskommission zum Befund, dass ich „Untauglich“ bin. Eine 7köpfige Kommissionsdelegation hat mir diesen Entscheid persönlich übergeben und einen Informationsflyer des Zivilschutzes übergeben.

 

Die Grundausbildung – eine Basis für spätere Ernsteinsätze

Im Frühjahr 2000 war es soweit, der 5tägige Grundkurs stand auf dem Programm. Eingeteilt als Nachrichtenpionier ging es für uns – die Untauglichen – hinein ins Erlebnis Zivilschutz. Was wir in den 5 Tagen alles gemacht haben? Ganz ehrlich, ich kann mich nicht mehr wirklich an alles erinnern, aber einiges ist geblieben

  • Wir haben unzählige Ausfahrten zu verschiedenen Zivilschutzbunkern in der Region vorgenommen, und uns diese von innen angesehen
  • Wir haben unzählige Filme über die Erfolgsgeschichte Zivilschutz auf Grossleinwand angeschaut
  • Wir haben stundenlang die Funkregeln gelernt. Über das gesamte Areal verteilt, haben wir gefunkt und im Gras liegend das schöne Wetter genossen. Jedes Mal, wenn einer einen Fehler in seinen Funkspruch einbaute, musste die ganze „Rund-Funk-Gruppe“ wiederholt werden. Ein Schelm, wer dabei denkt, dass sich kurz vor dem erfolgreichen Ende jeweils extra ein Fehler eingeschlichen haben könnte …

Und zwei weitere Dinge sind in Erinnerung geblieben:

  • Während eines Ausbildungsblockes „Technische Karten zeichnen im Katastrophenfall“ erlaubte sich mein Sitznachbar – ein Manager der Novartis – folgende Frage: „Angenommen, in unserer Region würde es tatsächlich eine Katastrophe geben. Wie viele mit unserer Ausbildung würde es benötigen?“ – „Aller Voraussicht nach 3, da wir in diesem Fall in einem 3-Schicht-Betrieb arbeiten würden“ – „ Und wie viele haben diese Ausbildung in unserem Kanton?“ – „6’364“ ….
  • Am vierten Tag des Grundkurses hatte ich verschlafen, ich war 30 Minuten zu spät im Bunker und musste beim Kommandanten antanzen. Der wollte mich nach Hause schicken und mich die ganze Woche wiederholen lassen. Ein Schreckensszenario. Auf meine Frage, was ich denn in den 30 Minuten verpasst habe, musste der Kommandant erst seine Mitarbeiter befragen, bevor er mir mitteile, dass sie Funkübungen gemacht hätten. Nachdem ich dem Kommandanten „beweisen“ konnte, dass ich die Funkregeln beherrsche, durfte ich bleiben … Uff, nochmals Glück gehabt.

 

Von der Ausrichtung des Ehrensolds bis zum Strafbefehl – die wilden Jahre

Bis ins Jahr 2006 habe ich im Anschluss an den Grundkurs keinen einzigen Diensttag verrichtet, was aber nur indirekt meine Schuld war. Ich bin oft umgezogen – nicht wegen dem Zivilschutz … – wurde oft neu zugeteilt und bis zum ersten Aufgebot war ich bereits wieder weg, oder die Wiederholungskurse wurden kurzfristig abgesagt oder ich war wegen beruflicher oder privater Abwesenheit ordnungsgemäss beurlaubt. Das war irgendwie gut, aber auch teuer. Mit der Bezahlung des Wehrpflichtersatzes kam über die Jahre ein schöner Betrag zusammen, den ich sicherlich auch hätte auf andere Weise verwenden können.

Mit der Erfahrung von einem Tag Rekrutenschule und 5 Tagen Zivilschutz-Grundkurs, durfte ich Ende 2006 in den wohlverdienten „Militärruhestand“ treten und durfte zur Entlassung einen Ehrensold entgegen nehmen, in der Höhe eines Tagesansatzes des ranghöchsten Offiziers der Schweizer Armee. Tata.

Hier könnte die Geschichte eigentlich zu Ende sein, ist sie aber leider nicht, denn dieser Militärruhestand bedeutet nur, dass ab diesem Zeitpunkt kein Militärpflichtersatz mehr zu bezahlen ist. Die Zivilschutzpflicht besteht dagegen bis zum Ende des 40. Lebensjahres. Damit fällt auch die letzte „Motivation“ weg, denn zuvor musste man zumindest, dass man mit jedem Diensttag seinen geschuldeten Wehrpflichtersatz dieses Jahres um 10 % senkt.

Es werden 23 weitere Diensttage verteilt über 10 Jahre und 3 verschiedene Zivilschutzstellen folgen.

Die erste Station hatte es in sich. Teile der Kompanie wurden dazu beordert, an einem mehrtägigen Volksfest, eine Zivilschutz eigene „Festbeiz“ zu betreiben. Tönt nach einem erfolgsversprechenden Konzept für den Zivilschutz und einer guten Gewinnmarge, wenn das Personal gratis arbeiten „darf“. Ich war beim Getränkenachschub eingeteilt – leere Getränkeharassen und Bierfässer durch volle ersetzen. Kannst Du Dich noch an meine Einschränkungen aus der Zeit der militärischen Aushebung erinnern? Die Anstrengung in Kombination mit der Tatsache, dass wir bei hochsommerlichen Temperaturen die Pausen im Kühlwagen verbracht haben, was nicht sonderlich clever war, haben dazu geführt, dass ich am dritten Einsatztag, einem Sonntag, krank aufgewacht bin. Bis hierhin sind sich alle einig, ab jetzt gehen die Versionen von der Zivilschutzstellenleitung und mir auseinander:

Tatsache ist; Ich bin an diesem Tag nicht eingerückt. Ob ich mich ordnungsgemäss abgemeldet habe? Jein, im Nachhinein betrachtet hätte es sicherlich bessere Varianten gegeben, als die von mir gewählte, aber zum Schluss ist man immer schlauer. Jedenfalls musste ich mein Nichteinrücken sonntags um 7.00 Uhr im Nachhinein schriftlich begründen, was ist natürlich getan habe. Der Kommandant hat meine Begründung für unglaubwürdig taxiert und ohne weitere Kontaktaufnahme die Verzeigung eingeleitet. Daraufhin wurde ich von der Kantonspolizei sonntags zur Einvernahme auf dem lokalen Polizeiposten eingeladen. Einen Polizeiposten der sonntags geschlossen hat, notabene. Der Dorfpolizist und ich haben gemeinsam darüber philosophiert, weshalb ein solcher Fall zu einer Anzeigeeröffnung wegen Widerhandlung führt und nebenbei haben wir noch gemeinsam seinen Fragebogen ausgefüllt. Drei Wochen später war das Untersuchungsverfahren abgeschlossen und das Urteil stand fest. Bist Du gespannt auf das Ergebnis?

Schuldig!

Bedingte Geldstrafe, Busse, Gebühren und Eintragung im Strafregister, das ganze Programm!

Wird das eigentlich jemals wieder gestrichen, oder bin ich für immer und ewig im Verzeichnis der bösen Buben aufgeführt?

 

Die Ruhe nach dem Sturm – sinnfreies Absitzen bis zur Entlassung

Was danach folgte, war der nächste Umzug – unabhängig vom gesamten Zivilschutz-Theater – und damit verbunden auch die Umteilung in eine neue Zivilschutzorganisation. Der Start war vielversprechend. Es folgte mein einziger sinnvoller Einsatz, denn wir haben während einer Woche einen neuen Spielplatz gebaut. Das hat richtig Spass gemacht und hat einen tatsächlichen Mehrwert für die Bevölkerung geliefert.

Doch das war ein einmaliger Ausflug in die Welt der sinnvollen Arbeit. Ab 2010 standen nur noch Wiederholungskurse auf dem Programm. Wiederholungen eines Grundkurses, den ich 10 Jahre früher absolviert hatte und dessen Inhalte ich seither nie mehr angewendet hatte. Wir haben 2 x jährlich die identische Übung durchgespielt und dabei den Übungsumfang von gut gerechneten 4 Stunden auf die Einsatzdauer von 2 – 3 Tagen ausgedehnt. Ob bereits jemals einer nachgerechnet hat, was das kostet, wenn gesamtschweizerisch so viele Männer in ihrem Unternehmen nicht zur Verfügung stehen und gleichzeitig zur Untätigkeit verdonnert werden, denn WLAN ist im Zivilschutzbunker definitiv Mangelware.

Für die letzten 3 Tage wurde ich nochmals umgeteilt. Eine Zivilschutzkompanie am gegenüberliegenden Ende des Kantons hat eine Gruppe von rund 20 – 30 Personen aus meiner Umgebung „gedraftet“. Das bedeutet, dass an Einsatztagen jeweils 25 Personen eine 35 Kilometer lange Fahrt (statt bisher 2 km) pro Weg auf sich nehmen, um die gestreckte Übung des Vorjahres jetzt an einem anderen Einsatzort nochmals durchzuspielen.

Auf die letzten Jahre hin, habe ich mir den Platz am Telefon hinten links im separaten Räumchen gesichert. Meine Aufgabe? Ich muss pro Tag und Übung ca. 5 x das Telefon abnehmen und die Informationen in eine Software niederschreiben. Würde meine Einsatzzeit noch 2 Jahre länger dauern, dann könnte ich die wiederkehrenden Texte mit Sicherheit auswendig aufschreiben … Aber der Platz hat auch grosse Vorteile: Eigener PC mit Internetanschluss, WLAN-Empfang und Steckdose. Das Überleben ist gesichert!

 

Versöhnliches zum Schluss

Mit dem heutigen Tag ist alles vorbei. Ich denke, es ist für Dich nicht überraschend, wenn ich sage, ich werde den Zivilschutz nicht vermissen. Aber, in den vergangenen Jahren ist aus unserer Gruppe eine gute Leidens-Gemeinschaft geworden. Die Gespräche und Kontakte daraus möchte ich nicht missen.

Natürlich darf auch ein versöhnliches Ende nicht fehlen:

Die eigentlichen Hauptaufgaben des Zivilschutzes, die Hilfeleistung bei Katastrophen und Notlagen aller Art und der Schutz der Bevölkerung finde ich im Grundsatz eine äusserst sinnvolle Sache. Im Rückblick auf meine Einsätze habe ich für mich allerdings nicht (mit einer Ausnahme) das Gefühl einen Beitrag dazu geleistet zu haben.

Schluss. Aus. Vorbei.

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